Die Türkei im Dauer-Delirium

publiziert: Sonntag, 22. Jun 2008 / 23:12 Uhr / aktualisiert: Sonntag, 22. Jun 2008 / 23:30 Uhr

Anwärterin auf einen Schönheitspreis ist die Türkei nach den vier bisherigen Leistungen (noch?) nicht. Das Team von Fatih Terim überzeugte in anderen Bereichen. Es spielte leidenschaftlich und vor allem geduldig - bis zum bitteren Ende des Gegners.

Geduld und Leidenschaft waren die bisherigen Erfolgsrezepte der Türken.
Geduld und Leidenschaft waren die bisherigen Erfolgsrezepte der Türken.
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Spätestens seit der spektakulären Wende im entscheidenden Gruppenspiel gegen Tschechien (vom 0:2 zum 3:2 in der Schlussviertelstunde) hat die strapazierte Sprichwort «das Spiel ist erst fertig, wenn der Schiedsrichter abpfeift» eine neue Dimension erhalten. Doch braucht die «Milli Takim» den Druck, in Rückstand zu geraten? Braucht sie den Kick, erst in den letzten Minuten ihre Fähigkeiten auszuspielen?

«Zweimal nacheinander bereits mit einem Bein über dem Abgrund hängend, der halbe Körper dazu, und keine Chance sehend, wieder festen Boden unter die Füsse zu bekommen», formulierte das deutsche Fachmagazin «Kicker» den türkischen Zustand. «Und dann ist man doch plötzlich hoch oben auf dem Gipfel. Umjubelt! Zu Helden stilisiert! Doch geht ein solches Glück nicht auch mal zur Neige?»

Haben die Türken alles im Griff?

Geht es nach Trainer Fatih Terim, ist die Türkei zu weiteren Exploits fähig. Als er nach der Pressekonferenz Hamit Altintop, der von der UEFA zum besten Spieler der Partie gegen Kroatien erkoren worden war, mit der Hand kräftig auf die Schulter klopfte, schien es, als meinte er damit: «Seht her, ich habe alles im Griff».

Terim strahlte in seinem weit geöffneten Hemd wie ein Maikäfer und sagte laut: «Mit Spielern wie Hamit kannst du gar nicht verlieren!» Am späten Ausgleich in der Verlängerung war Altintop, der Allrounder von Bayern München, zwar nicht direkt beteiligt. Er symbolisiert aber die «deutschen», an dieser EM für die Türken zutreffenden Tugenden wie kaum ein anderer. Die Vorgabe des autoritären Trainers, niemals aufzugeben, hat er verinnerlicht. Er kämpft und peitscht an, bis zum letzten Pfiff.

Resignation ist nicht erlaubt

Terim lebt der Mannschaft mit vollem Körpereinsatz die Philosophie vor. Beim 0:1 in der 119. Minute befremdete es ihn, dass einige Spieler am Boden lagen und Zeichen von Resignation zu erkennen waren. Er befahl Arda Turan gestenreich und mit längst zurückgerollten Hemdsärmeln, den Ball aus dem Netz zu holen, und den übrigen, sich sofort wieder zu formieren. Ein Offside der Kroaten und den langen Abschlag von Rüstü Recber später erhielt der «Teknik direktör» mit dem 1:1 bestätigt, was mit unbändigem Willen möglich ist.

Hamit Altintop verkörpert das seit jeher alles andere als schwache türkische Selbstvertrauen. «Es gibt keinen Grund, wegen irgendeinem Gegner nervös zu werden. Wenn wir so weitermachen, können wir das Turnier gewinnen.» Eine Drohung an die Deutschen war die Aussage des im Ruhrpott geborenen und aufgewachsenen Türken nicht, aber eine Warnung. Slaven Bilic, der Trainer der im Viertelfinal unterlegenen Kroaten, gab Altintop Recht. «Sie haben zum dritten Mal in einer extremen Art gewonnen und müssen irgendetwas Besonderes haben, was man im Fussball braucht. Wenn sie weiterhin so viel Glück haben und nie aufgeben, können die Türken in den Final kommen.»

«Duell der Giganten»

Geht es um Formulierungen für kommende Begegnungen, schreckt Terim vor dem Gebrauch von martialischen Begriffen selten zurück. Seine «Kämpfer mit dem Löwenherz» sieht er für den Halbfinal gegen Deutschland, dem ersten Turnierduell seit zwei klaren Vorrunden-Niederlagen in Zürich (2:7) und Bern (1:4) an der WM 1954, zumindest nicht im Nachteil. «Ich habe immer gesagt: Wir sind mit 70 Millionen Menschen ein grosses Land und können so viel mehr erreichen. Jetzt spielen zwei Giganten gegeneinander.»

Auf die nun dreimal in Folge erlebte Dramatik würde Terim gegen das zweitgrösste Halbfinal-Teilnehmerland (82,2 Mio Einwohner) gerne verzichten. «Bisher sind wir immer den schwierigen Weg gegangen, nicht den leichten. Vielleicht ist es gegen Deutschland einmal anders, und wir gehen in Führung. Das wäre eine andere Art zu gewinnen.»

Und es würde unter anderem dem in Wien gegen Kroatien anwesenden Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan das zweite Durchleben der kompletten Gefühlspalette ersparen. Der ranghöchste türkische Politiker liess auf der Ehrentribüne zuerst seinen Tränen freien Lauf. In der Kabine wurde er mit Flüssigkeiten anderer Art konfrontiert. Als Erdogan der Reihe nach alle Spieler umarmt und auf die Stirn geküsst hatte, wich der völlig verschwitzte Rekordinternationale Rüstü zurück. Erdogans Replik: «Das sind heilige Schweissperlen, die müssen geküsst werden.»

(Stefan Baumgartner/Si)

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