«Bayern ist in einer merkwürdigen Situation. Eigentlich waren
sie schon weiter, nun sind sie in Gefahr. Wer Angst hat, spielt nie
gut», beurteilte Henry die Lage der Bayern nach dem 0:3 bei Lyon.
Auch Arsenal-Trainer Arsène Wenger konnte das Resultat der
Kontrahenten in der Gruppe C kaum glauben. «Das Ergebnis ist
überraschend, denn normalerweise sind die Bayern auswärts stark»,
meinte der Elsässer.
Bei den Bayern herrschte nach dem 0:3-Debakel dicke Luft. Es war
kurz nach Mitternacht, als Franz Beckenbauer die eigenen Spieler
beim Bankett im Mannschaftshotel vor Sponsoren, VIP's und
Journalisten mit Worten abstrafte, erniedrigte und als Mannschaft
verhöhnte. Ohne Rücksicht auf Verluste stellte der 55-Jährige das
hochbezahlte Kicker-Personal 4:42 Minuten lang als «Lehrbuben» an
den Pranger, bot ihnen spöttisch «Nachhilfeunterricht» an und
empfahl für den Fall fehlender Einsicht in letzter Konsequenz sogar
einen Berufswechsel.
«Das ist eine andere Sportart, die wir spielen. Das ist nicht
Fussball. Das ist Altherrenfussball», polterte Beckenbauer und sah
für die Titel-Ambitionen in Bundesliga und Champions League
schwarz: «Wenn Ihr so weiter spielt, werden die ganzen Trophäen
sicherlich nicht nach München gehen.»
Mit versteinerten Mienen verfolgten die Spieler den Monolog von
Beckenbauer, der mit Beifall der Edelfans quittiert wurde. Ottmar
Hitzfeld, den Beckenbauer in seiner Rede mit keinem Wort direkt
ansprach, wurde aschfahl im Gesicht. Doch der 52-Jährige, der die
Mannschaft als Trainer aufstellt, einstellt und damit sportlich
verantwortlich zeichnet, war nicht die Zielscheibe der
«kaiserlichen» Konfrontation. «Wo der Franz Recht hat, hat er
Recht», so Hitzfeld: «Ich fühle mich nicht persönlich
angesprochen.»
Als Krönung des schmachvollen Auftritts holte sich Effenberg mit
einem Frustfoul kurz vor Schluss die dritte Gelbe Karte ab. Drei
Tage nach Goalie Kahns Ausraster in Rostock ein weiteres Zeichen,
wie blank die Nerven selbst bei den Führungsspielern liegen. «Das
war unglaublich blöd im Nachhinein», gab Effenberg kleinlaut zu. Er
ist nun gesperrt beim «Endspiel» gegen Arsenal am kommenden
Mittwoch im Münchner Olympiastadion, in dem die Bayern einen Punkt
brauchen, um aus eigener Kraft in die Viertelfinals einzuziehen.
Am Samstag Cottbus, dann Arsenal und als Finale der «Woche der
Wahrheit» das Derby gegen 1860 München -- dramatische Tage stehen
den Bayern bevor. Aber unabhängig vom Ausgang ist diese Mannschaft
ein Auslaufmodell. Unverblümt forderte Effenberg Manager Uli
Hoeness zum angekündigten personellen Schnitt auf: «Er muss gewisse
Spieler verkaufen, neue einkaufen und Bayern ein neues Gesicht
geben. Ein frisches Gesicht, mit frischem Blut.»
«Dilletantisch», so Hitzfeld, agierten gegen Lyon praktisch
alle. «Es reicht nicht, wenn einige nur 60 Prozent bringen»,
urteilte Hitzfeld. Er begann noch in der Nacht mit den ersten
Aufräumarbeiten. 25 Minuten diskutierte er allein an einem Tisch
mit Kahn. «Man muss in die absoluten Leistungsträger
hineinhorchen», sagte er. Bei der Flucht in Zweck-Optimismus
stellte der Trainer eine waghalsige These auf. «Wir können die
Champions League immer noch gewinnen.» Nicht nur das sieht
Beckenbauer offenbar anders: «Das war Lyon, nicht Real Madrid.»
(kil/sda)