Favoriten sind in Schönheit gestorben

publiziert: Montag, 23. Jun 2008 / 14:28 Uhr

Die Vorrunde der EURO hatte einiges Spektakel geboten. Portugal, Holland, Spanien und mit Abstrichen die Kroaten verzückten die Gourmets mit erfrischendem Angriffsspiel. Als es jedoch um alles oder nichts ging, verabschiedeten sie sich - die Spanier waren die Ausnahme - sang- und klanglos.

Angriff und Verteidigung müssen stimmen, sonst endet es in einer Niederlage: Der Portugiese Postiga nach dem Spiel gegen Deutschland.
Angriff und Verteidigung müssen stimmen, sonst endet es in einer Niederlage: Der Portugiese Postiga nach dem Spiel gegen Deutschland.
Vorreiter der realistischen Spielweise waren - einmal mehr - die Deutschen. Sie überstanden die Vorrunde mit einigem Hängen und Würgen nach einer Niederlage gegen Kroatien und einem hart erarbeiteten 1:0-Erfolg gegen Österreich. Statt wie in den Gruppenspielen im 4-4-2-System anzutreten, ersetzte Joachim Löw gegen Portugal die zweite Spitze durch einen defensiven Mittelfeldspieler.

Das Einengen der Räume und das Verhindern des gegnerischen Kombinationsspiels stand über der Konstruktion des eigenen Spiels. Die Portugiesen fanden im defensiven Netz plötzlich Widerstände, die sie aus den Spielen gegen die Türkei, die Schweiz und Tschechien nicht gekannt hatten. Wiederholt verfingen sie sich in der engmaschigen Abwehrreihe.

Ein Tor mehr oder ein Tor weniger

Cristiano Ronaldo rieb sich darin ebenso auf wie später ein Luka Modric oder Ivan Rakitic im türkischen Defensivverbund. Und selbst die so stilsicheren Holländer fanden kein Mittel gegen den russischen Fels. Und dass die Italiener dem Catenaccio verpflichtet sind, ist kaum eine neue Erkenntnis; die Erfolge gaben ihnen bisher zumeist recht.

Die Spanier traten den «Azzurri» jedoch mit der gebotenen Vorsicht, um es wohlwollend zu formulieren, entgegen, so dass sich statt einer attraktiven Partie ein Ballquergeschiebe der Iberer in der ungefährlichen Mittelzone entwickelte. BBC-Experte Mark Lawrenson kündigte schon früh im Spiel an, dass mit Toren kaum zu rechnen sei.

In der Vorrunde standen nicht die Verteidiger im Mittelpunkt. Die Schwächen der Innenverteidiger Portugals, Hollands und auch Kroatiens wurden von der Durchschlagskraft der offensiven Teamkollegen zugedeckt. Ein Tor mehr als der Gegner zu erzielen, war die Maxime. Sie setzte sich in der Gruppenphase zumeist durch.

Eines weniger zuzulassen, war das Erfolgrezept in der K.o.-Phase. Schwächen in der Abwehr wurden schonungslos aufgedeckt. «Wir wollten nicht zu Beginn in Form sein, sondern uns während des Turniers steigern», erklärte Löw den Steigerungslauf seines Teams im bisherigen Turnier.

Probleme mit dem Umstellen

Die pragmatische Spielweise siegte in den Viertelfinals am Ende in jedem Fall; als Ausnahme sind allenfalls die Russen zu sehen. Als «totalen Fussball» beschrieb der Tages-Anzeiger ihren Auftritt gegen Holland. Das Team von Guus Hiddink stand in der Tat nicht nur in der Defensive solid, sondern gefiel mit seinem Offensivfussball.

Deutschland und die Türkei beschränkten sich derweil auf vereinzelte Nadelstiche. Italiens offensive Verweigerung und Eintönigkeit waren im Match gegen Spanien selbst für jeden Tifoso ein Grauen. Und die Iberer wagten lieber den Abschluss aus der sicheren Entfernung, als mit schnellem, aber riskanterem Kurzpassspiel am und im Strafraum den Erfolg zu suchen.

Offensichtlich fiel den dominierenden Teams der Vorrunde die Umstellung vom schönen zum rein resultatorientierten Fussball zu schwer. Ob sich die Coaches mit dem Aufstellen einer «B-Auswahl» im letzten, für sie unbedeutenden Gruppenspiel einen Gefallen taten, ist zumindest fraglich.

Während die Russen zwei Tage nach dem schweren Spiel gegen Schweden bis zur letzten Minute frisch wirkten, schwanden die Kräfte der Holländer schon nach rund einer Stunde.

Der Sturm ins Verderben

Die Kroaten stürmten regelrecht ins Verderben. Nach dem 1:0 und der vermeintlichen Entscheidung in der vorletzten Minute der Verlängerung stürzte sich Trainer Slaven Bilic siegesgewiss auf den jubelnden Spielerberg. Euphorisch rannten die Kroaten weiter nach vorne -- und begingen den fatalen Fehler. Rakitic´ Zuspiel auf den ehemaligen Klubkollegen Mladen Petric erwischte diesen im Offside. Aus dem Freistoss an der Mittellinie entstand der Ausgleich.

Gänzlich das Gegenteil des euphorischen Bilic offenbarte Luis Aragones. Der spanische Coach jubelte nach dem erfolgreichen Penaltyschiessen etwa zwei Sekunden lang. Er ballte kurz die Faust, dann verschwand er mit versteinerter Miene, als hätte Spanien soeben zum vierten Mal an diesem Turnier verloren.

Später sprach er an der Pressekonferenz mit noch immer säuerlichem Gesichtsausdruck, dass Italien - Spanien «kein grosses Spiel» gewesen sei. Nicht in Schönheit zu sterben, ist das oberste Gebot in dieser Turnierphase.

(Sascha Rhyne/Si)

 
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