Fussball: Holländische Schadenfreude

Am Schluss durften die über 20 000 holländischen Fans im eindrücklichen "Felsenstadion" von Braga ihre Lieblingshymne anstimmen. "Schade, Deutschland, alles ist vorbei", ertönte aus den Kehlen der glückseligen Supporter. In diesem Moment kannte die orange (Schaden-)freude keine Grenzen. Deutschland hatte im fernen Lissabon tatsächlich 1:2 verloren und der Oranje-Equipe damit den Weg in die Viertelfinals gewiesen. Es war das glückliche holländische Ende eines der wohl bizarrsten EM-Spiele überhaupt.

Als klar war, dass Hollands Erfolg gegen das bescheidene Lettland nicht in Gefahr war, hofften und bangten die Fans auf den steilen Tribünen mit der tschechischen B-Auswahl. "Tschechie, Tschechie", ertönte es immer wieder. Deutschlands Führung in Lissabon wurde noch stillschweigend hingenommen.

Surreale Szenen

Doch dann ereignete sich nach rund einer halben Stunde die erste surreale Szene in Braga. Während Aussenverteidiger Giovanni van Bronckhorst in der eigenen Platzhälfte einwarf, fegte plötzlich riesiger Jubel wie ein Orkan durch das Stadion. Tschechien musste ausgeglichen haben, Holland wäre jetzt schon im Viertelfinal gestanden.

Als kurz darauf wieder alle Fans von den Sitzen sprangen, ballten auch einige holländische Spieler instinktiv die Faust; sie wussten nicht, dass sich eine Falschmeldung im Stadion verbreitet hatte. "Ich hörte unsere Supporter zweimal jubeln und dachte in der Pause, dass Tschechien 2:0 führt. In der Kabine sagte uns der Assistenztrainer, dass es erst 1:1 steht. Das war ein schlechtes Gefühl, wie wenn wir ein Gegentor kassiert hätten", sagte Doppeltorschütze Ruud van Nistelrooy.

Beruhigt konnte der Topskorer von Manchester United erst sein, als eine Viertelstunde vor Schluss die Kunde vom 2:1 der Tschechen die Runde machte -- und die Meldung diesmal stimmte. In der Schlussphase gab es für die "Elftal" minutenlange stehende Ovationen. Oder gehörten sie doch eher den Tschechen im Lissaboner "José-Alvalade"-Stadion?

"Komische" Vorrunde

Für Van Nistelrooy war der ungewöhnliche Abend in Braga der "logische Abschluss einer komischen Vorrunde". Sie hätten gegen Deutschland schlecht ausgesehen, aber einen Punkt gewonnen und dann gegen Tschechien phantastisch gespielt, aber verloren.

"Alles in diesen Gruppenspielen lief seltsam. Das Duell gegen Lettland mit den unerwarteten Zuschauer-Reaktionen hat deshalb gut gepasst." Als "Rutje" diese Worte sprach, blitzte der Schalk aus seinen Augen. Und erleichtert sagte er: "Es wäre einfach unglaublich traurig gewesen, wenn dieses Turnier, auf das ich mich so gefreut habe, schon nach drei Spielen zu Ende gegangen wäre."

Humor wiedergefunden

Auch Trainer Dick Advocaat, der nach der Niederlage gegen Tschechien massiv in der Kritik gestanden hatte und von einer grossen Tageszeitung als "unsympathischster Holländer" bezeichnet worden war, fiel ein grosser Stein vom Herzen. An der Pressekonferenz fand zwar die grosse Versöhnung mit den einheimischen Medien nicht statt, den Humor hatte "Dickie" aber wiedergefunden.

Angesprochen auf die harten Worte in den Zeitungen in den Tagen zuvor sagte er: "Normalerweise sitzen die Scouts bei den Junioren-Turnieren auf den Tribünen. Doch wenn Holland spielt, sind sie auch bei der EM dabei. Jeder sieht ein bisschen mehr als der andere. Und alle wissen es ein wenig besser als der Trainer." Es war das letzte Statement eines seltsamen orangen Abends.

(Stefan Wyss, Braga/Si)