Fussball: Jon Dahl Tomasson - Die rot-weisse Kobra

Die freundliche Erscheinung ändert jedoch schnell, wenn sich Tomasson auf dem Platz dem gegnerischen Tor nähert. "Er bewegt sich geschmeidig, schleicht sich im Strafraum an die gefährlichen Stellen, weiss, wo er stehen muss, ist intelligent und beisst schliesslich erbarmungslos zu. Wie eine Kobra halt." Mit diesen Worten umschrieb Dänemarks Captain und Tomassons früherer Milan-Teamkollege Thomas Helveg die Eigenschaften seines Freundes.

Ehemaliger Schweizer Schreck

Dass Tomasson ein aussergewöhnlich gefährlicher Stürmer ist, haben vor einigen Jahren auch die Schweizer erfahren müssen. Im Herbst 1999 sorgte er innert vier Tagen fast im Alleingang für das Ausscheiden der Schweiz in der EM-Qualifikation.

Zunächst schoss Tomasson bei Dänemark - Schweiz kurz vor Schluss das Siegtor zum 2:1, dann traf er in Neapel zum sensationellen 3:2 der Dänen gegen Italien. Dank dieses Erfolges war Dänemark Gruppen-Zweiter (und qualifizierte sich für die Endrunde), die Schweiz war als Dritter eliminiert.

Bei Milan weiterentwickelt

Knapp drei Jahre später kehrte Tomasson, der Held von Napoli, nach Italien zurück. Den Spähern der AC Milan war nicht entgangen, dass der Däne mit Feyenoord Rotterdam in vier Saisons 55 Tore markierte und mit den Holländern 2002 den UEFA-Cup holte. Die Strasse des Erfolges verliess Tomasson auch auf dem Stiefel nicht.

In der ersten Saison triumphierte er mit Milan im Cup und in der Champions League, gewann darauf den europäischen Supercup und heftete sich in der abgelaufenen Spielzeit den Scudetto, das Meisterschafts-Abzeichen ans Revers. In der Mode-Metropole hat Tomasson den letzten Schritt zum internationalen Top-Stürmer gemacht. "In Italien erzielte ich Fortschritte in jedem Punkt: technisch, taktisch und mental."

Psychische Stärke war gefordert

Psychische Stärke war vor allem in der ersten Saison gefragt, als Tomasson hinter Andrej Schewtschenko und Filippo Inzaghi nur dritte Wahl war. Doch er biss sich durch, bekam im Cup Spielpraxis und war im letzten Jahr bereit, als er den während Monaten verletzten Inzaghi ersetzen musste.

12 Tore in 26 Partien in der Serie A sind eine aussergewöhnliche Quote. Auch deshalb lehnte Milans operativer Chef Adriano Galliani in den letzten Woche jede Offerte für die Kobra ab. In den Augen von Milans Entscheidungsträger ist Tomasson unverkäuflich. Ein Etikett, das sonst nur den Ikonen Paolo Maldini, Schewtschenko und Inzaghi zuteil wird.

Auf diese Situation ist Tomasson stolz, er fühlt sich wohl in der Lombardei. "Die Mitspieler haben mir den Start in Italien menschlich leicht gemacht. Die Routiniers Maldini und Costacurta sorgten sich auch abseits des Platzes um mich. Dafür bin ich ihnen ewig dankbar. Auch dafür, dass ich mich im Training täglich gegen sie behaupten muss. Wenn ein Stürmer im Alltag lernt, sich gegen solche Verteidiger durchzusetzen, ist das die beste Schule."

"Nicht nur Tore zählen"

Tomasson dankte es seinen Teamkollegen mit Toren. Doch er will seine Leistungen nicht auf die Anzahl erzielter Treffer reduziert sehen. In Italien ein unerhörter Wunsch. "Im Calcio zählen für die Stürmer nur die Tore, daran wird man gemessen. Ich bin als Nordeuropäer mit einer anderen Mentalität gross geworden.

In Dänemark oder in Holland ist auch die Vorbereitung eines Tores anerkannt. Bei Feyenoord haben ich und Pierre van Hooijdonk nicht die einzelnen Treffer gezählt. Ein Assist für den anderen hat uns genauso glücklich gemacht wie der eigene Torerfolg."

"Eine Gruppe von Freunden"

Gleiches erlebt Tomasson auch in der Nationalmannschaft. "Wir sind eine Gruppe von Freunden. Jeder gönnt dem anderen den Erfolg. Unser Vorteil ist, dass wir keine wirklichen Stars im Team haben. Eifersucht und Missgunst sind bei uns kein Thema." Für ein kleines Land wie Dänemark mit beschränktem Potenzial seien diese Merkmale für den Erfolg unabdingbar, sagte Tomasson.

Und Erfolg hatten die Dänen in der Vergangenheit weit mehr als andere Nationen mit vergleichbaren Rahmenbedingungen. Mit einem Sieg am Dienstagabend im Derby gegen Schweden will Dänemark wie vor zwei Jahren an der WM in Japan und Südkorea die Vorrunde überstehen. Damals wurden die Dänen vor Senegal, Uruguay und Frankreich Gruppensieger. Vier der fünf Tore an der Endrunde schoss... Jon Dahl Tomasson, die Kobra.

(von Stefan Wyss, Porto/Si)