Holland und Spanien kämpfen um die Krone
Heute Abend findet in Johannesburg das «Spiel der Spiele» statt. Spanien und Holland sind sehr optimistisch, ihren ersten WM-Titel zu gewinnen.
Bisher orakelte Paul auf diese Weise schon sechsmal den richtigen Sieger. Es kann einem spanisch vorkommen, aber der Entscheid des Tentakel-Orakels wurde in Spanien live im Fernsehen übertragen.
Dabei hätten die Spanier diesen surrealen Support gar nicht nötig. Seit dem souveränen Auftritt im Halbfinal gegen hilflose Deutsche schwärmt die Fussball-Welt wieder vom tollen «Tiqui-Taca» des Europameisters.
Auch Trainer Vicente Del Bosque unterstrich zwei Tage vor dem Final nochmals die gute Darbietung aus dem letzten Spiel. «Das war wirklich eine sehr gute Leistung.» Jetzt gehe es aber weiter und Spanien sei fähig, sich nochmals zu steigern.
«Seleccion» in Topform
Vor dem Endspiel machen die Spanier mobil. Der lange, zähe Anlauf zur Topform des grossen WM-Favoriten ist nur noch eine schwache Erinnerung. Er klingt bloss noch in Statistiken nach, welche zu Tage förderten, dass seit 1990 (Argentinien/5) nie mehr ein WM-Finalist auf seinem Parcours weniger Tore erzielt hat als dieses Spanien 2010. Sieben an der Zahl genügten, um Soccer City zu erreichen.
Nein, jetzt schwärmt Spanien wieder von dieser «Seleccion». Im ganzen Land sollen mehr als doppelt so viele Trikots der Mannschaft verkauft worden sein als vor zwei Jahren während der triumphalen Tage in Österreich. Und auch die rot-gelb-rote Flagge ging zigfach über den Ladentisch.
Selbst in separatistischen Regionen wie Katalonien oder dem Baskenland hängen sie an den Hauswänden. Und keiner stört sich im Moment daran, dass diese Farben an sich als Symbol für die grässliche Franco-Diktatur gelten.
Der 11. Juli 2010 soll nun im gespaltenen Land zum grossen einheitlichen Feiertag werden. Endlich bietet sich Spanien die Gelegenheit, aus dem Schatten der anderen grossen Fussball-Nationen Europas - Italien, Deutschland, England und Frankreich - zu treten. Mit dem ersten WM-Titel würde Spanien den «WM-Klub der glorreichen Sieben» zu einer illustren Achterbande erweitern.
Offensiv ohne Rücksicht auf Verluste
«Wir werden die Leute in der Heimat glücklich machen», sagte Carles Puyol. Der Verteidiger und Halbfinal-Torschütze erlebte im Nationalteam an Weltmeisterschaften schon manche Enttäuschung. Zuletzt 2006, als sein Team in den Achtelfinals an Frankreich scheiterte. Nach formidablen Leistungen in der Vorrunde notabene. Er war damals schon ein Routinier. Andere wie Sergio Ramos, Xavi, Xabi Alonso, Cesc Fabregas, David Villa und Fernando Torres standen gegen Frankreich auch in der Startformation, spielten in Deutschland aber ihre erste WM. Jetzt sind sie alle auch wieder dabei.
Schon 2006 hatte der Weg der Spanier nach oben gezeigt. Es fehlte im entscheidenden Moment aber die Erfahrung. Die «Furia roja» wurde von Frankreichs Routiniers um Zinedine Zidane, Liliam Thuram und Thierry Henry eiskalt abserviert, weil sie naiv ins Verderben stürmte.
Vier Jahre später ist gar nicht alles anders. Noch immer vertraut Spanien seinem Stil. Es passt ihn nicht dem Gegner an. Schon nach der Startniederlage gegen die Schweiz (0:1) hatte Stürmer Fernando Torres erklärt, Spanien werde, sofern es untergehe, mit dem eigenen, offensiven Spiel untergehen.
Vom (fussballerischen) Untergang spricht jetzt keiner mehr. Im Gegenteil. «Es gibt nur ein Spanien», sagte Del Bosque. Das Spanien, das den Ballbesitz will, das den Gegner kontrolliert, das ihn mit endlosen Kombinationen müde spielt. Ein Spanien: Das gilt auf dem Rasen und in diesen Tagen auch für die Menschen in der Heimat, die, egal in welcher Ecke des Landes, hinter der «Seleccion» stehen.
Flächendeckende Euphorie in Holland
In Holland herrscht während einer WM grundsätzlich immer der Ausnahmezustand. Kaum ein Volk in Europa solidarisiert sich mehr mit dem Nationalteam. Die «Elftal» löst Emotionen aus. 12,27 von 16,5 Millionen Einwohnern verfolgten den Halbfinal (3:2 gegen Uruguay) live am TV. Diese Rekordzahl allein verdeutlicht, wie «orange» die holländische Fussball-Nation denkt.
Mit der flächendeckenden Euphorie mag sich Bert van Marwijk in den Tagen vor dem Final nicht anfreunden. Der Zuspruch freut ihn, keine Frage, aber die allzu siegesgewisse Haltung der Öffentlichkeit teilt er nicht. «Wir haben wegen der übertriebenen Selbstsicherheit schon manche wichtige Partie verloren», verschloss sich der «Bondscoach» dem allgemeinen Rauschzustand.
Übervorsichtig und von der eigenen Ehrfurcht gelähmt wie die chancenlosen Deutschen beim Out gegen Spanien, so ist Holland im dritten Endspiel nach 1974 und 1978 trotz allem nicht zu erwarten. In der Vergangenheit bremste sich Oranje immer wieder selber. Davon ist die Equipe derzeit weit entfernt. Der verlustpunktlosen Qualifikation folgten in Südafrika weitere sechs Siege.
Als Team effizient
Das Hoch korrespondiert nicht nur mit zwei, drei einzelnen Figuren. Klar, Arjen Robben und Wesley Sneijder, die beiden exzellenten Dribbler und Skorer, beeinflussen das Spiel extrem. In dieser Mannschaft steckt aber mehr. In jeder Reihe sind Chefs am Werk, die nicht nur Spektakel, sondern auch den besser positionierten Mitspieler im Sinn haben.
Inputs aus der englischen, der spanischen, der italienischen und der holländischen Liga fliessen ein. Am Schalthebel sind mit Giovanni van Bronckhorst (Feyenoord) oder Mark van Bommel (Bayern) Professionals, die auf Klubebene jeden Härtetest bewältigt haben. Ajax-Keeper Maarten Stekelenburg ist bestimmt kein Prozent schwächer als der Spanier Iker Casillas.
Und die vor allem von den Ikonen der Siebzigerjahre befeuerte Debatte, ob Hollands gegenwärtiger Stil nun attraktiv oder pragmatisch sei, ist im Prinzip eine absolut nebensächliche Angelegenheit. Auf dem Hauptschauplatz ist die Generation um Robben fast unschlagbar gut. Die imposante Bilanz von 2010 lässt keine Fragen offen: 10 Siege, 26:9 Tore.
Mit einem erfolgreichen Griff nach dem ersten WM-Stern würden die Gourmets der Cruyff-Ära, welche die beiden empfindlichen Niederlagen in den Finals der Weltmeisterschaften in Deutschland und Argentinien bei den Analysen gerne ausklammern, womöglich vom Kritiker-Podium abtreten. Van Marwijks Auswahl besitzt am Sonntagabend im «Soccer City» die wohl einmalige Chance, die (interne) Hierarchie neu zu definieren.
Stammspieler gesetzt
Personell sind die meisten Fragen geklärt. Van der Wiel und De Jong kehren nach verbüsster Sperre ins Team zurück. Die übrigen Stammspieler sind ebenso bereit - auch Robin van Persie. Der Arsenal-Stürmer war bislang erst einmal erfolgreich. Aufkommende Bedenken wischte der Nationalcoach sofort vom Tisch: «Er ist in guter Form und lässt andere besser aussehen mit seinem Spiel. Ich bin mir sicher, dass er am Sonntag seine beste Leistung des Turniers zeigen wird.»
Bei Wesley Sneijder zweifelt niemand am Formstand. Der Inter-Professional könnte seine unerhört starke Saison mit dem vierten (!) Titel vergolden. Real-Verteidiger Sergio Ramos versuchte den kaum zu stoppenden Oranje-Topskorer mit einer SMS zu necken: «Du hast schon drei Pokale, das ist ja genug.» Die Nummer 10 der Holländer schmunzelte über die Botschaft des Spaniers nur.
(bert/Si)
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