Auch am zweiten Camp-Tag in Weggis ist das Teamtraining für Tranquillo Barnetta (29) nach dem rund 30-minütigen Warm-up bereits vorbei. Während der übrige Teil des Kaders intensiv Spielsituationen einstudiert, beginnt für den Ostschweizer das separate Programm mit dem Physiotherapeuten.
Er bewegt sich, trippelt leicht, deutet ein paar Sprints an. Immer wieder sucht er den Augenkontakt mit den medizinischen Betreuern, bespricht den Plan, wägt ab. Ab und an beobachtet Barnetta die Gruppe der Gesunden, die grätschen, antreiben, Tempo machen, vor Spielfreude sprühen.
Seit über vier Wochen und einem Muskelfaserriss beim 0:0 gegen Hoffenheim darf Barnetta selber nicht mehr ans Limit gehen. In seinem Zusammenhang hat der Begriff WM-Countdown eine etwas andere Bedeutung. Die Uhr tickt unerbittlich schnell, das Comeback muss absehbar sein.
Ottmar Hitzfeld setzt einen seiner wichtigsten Team-Player zwar nicht explizit unter Druck, aber es ist klar: Der Selektionär kann nur weiter mit ihm planen, wenn der 73-fache Internationale zumindest im zweiten Test gegen Peru einsatzbereit ist. «Sonst müsste man es neu überlegen», erklärte der Coach im Rahmen der WM-Nomination vor 15 Tagen.
Der inzwischen erhebliche Trainingsrückstand muss in der vorletzten Woche vor dem Abflug nach Brasilien zu kompensieren sein. Barnetta geht mit der ungemütlichen Situation relativ gelassen um. Erzwingen tut er nichts - auch wenn sich abzeichnet, dass er kaum vor der Partie gegen Jamaika am Freitag in den normalen Trainingsbetrieb integriert wird.
«Alles nach Plan»
In der Innerschweiz setzt er den sanften Aufbau fort, der für ihn schon Mitte letzter Woche in Feusisberg begonnen hat. Rückschläge seien bei solchen Verletzungen «ja nie ausgeschlossen», aber blockiert fühle er sich deswegen nicht. Die Zuversicht sei grösser als die Angst, unmittelbar vor der fünften Teilnahme an einer WM- oder EM-Endrunde abreisen zu müssen.
Roland Grossen ist (derzeit) weit davon entfernt, ein mögliches Forfait Barnettas zu thematisieren. Der Teamarzt relativiert das medizinische Bulletin. Er ortet im Dossier Barnetta kein unkalkulierbares Risiko: «Alles läuft nach Plan und gegenseitiger Absprache.»
Er zweifle keine Minute an den Rückmeldungen des Spielers, so Grossen: «Das Vertrauen in ihn ist gross.» Aus medizinischer Sicht verlaufe der Genesungsprozess zufriedenstellend, und dann reicht der Romand ein deutliches Statement nach: «Wären wir sicher, dass er keine Möglichkeit besitzt zu spielen, wäre er bestimmt nicht mehr im Team.»
Mental robust
Barnetta würde die Turnier-Teilnahme ohnehin nicht um jeden Preis forcieren. «Ich bin erfahren genug, um zu spüren, ob etwas Sinn macht - oder eben nicht.» Der langjährige Bundesliga-Professional - im Sommer wird er nach dem knapp neunmonatigen Engagement in Frankfurt zu Schalke zurückkehren - ist mental robust genug, um den Stressfaktor Zeit einzudämmen.
Den Rummel vor der Endrunde und die täglichen Spekulationen um seinen Gesundheitszustand weiss der Edel-Joker einzuordnen. Dass er hinter dem künftigen «Berliner» Valentin Stocker seit geraumer Zeit nur noch in der zweiten Reihe positioniert ist, beunruhigt ihn so wenig wie die Beschwerden im Oberschenkel: « Ein Turnier bestreitet man nicht mit elf Spielern.»
(fest/sda)