Wie schon im EM-Final vor vier Jahren entschied erneut das "Golden Goal" in der Verlängerung. 103 Minuten waren im Rotterdamer De-Kuip-Stadion gespielt, als ausgerechnet der künftige Juventus-Stürmer David Trézéguet den goldenen Treffer für Frankreich erzielte. Nach 90 Minuten hatte das Skore 1:1 gelautet. Marco Delvecchio, der überraschend Filippo Inzaghi aus Italiens Startformation verdrängt hatte, brachte Italien in der 59. Minute in Führung.
Die Italiener schienen auf dem Weg zu ihrem zweiten EM-Titel nach 1968 zu sein, doch in der 94. Minute glich Frankreich durch den wie Trézéguet eingewechselten Sylvain Wiltord aus. Die Franzosen retteten sich in extremis in die Verlängerung. Wie schon im Halbfinal gegen Portugal korrigierten sie einen 0:1-Rückstand. Schon gegen die Iberer hatten sie sich in der Overtime mit dem "Golden Goal" durchgesetzt. Nach 1984 wurde Frankreich trotz einigen Anlaufschwierigkeiten zum zweiten Mal Europameister. Damals war die Equipe Tricolore die gastgebende Mannschaft, wie auch beim Gewinn des WM-Titels. Nun wurde sie erstmals ausserhalb ihres Landes Sieger eines grossen Turniers.
Zidane abgeschirmt
Der Motor der Franzosen brauchte einige Anlaufzeit bis er auf Touren kam, doch auf allen Zylindern lief er auch dann nicht. Die Equipe Tricolore tat sich im Spielaufbau so schwer wie nie zuvor an diesem Turnier. Die Italiener ahnten meist die Laufwege der "Bleus", die sich ihre Anspielstationen für einmal nicht nach Belieben aussuchen konnten. Dennoch, Mitte der ersten Halbzeit nahm Frankreich die Partie in die Hand, und wurde bis zum Wechsel zur spielbestimmenden Mannschaft.
Vor allem um Zinedine Zidane gruppierten sich jeweils gleich mehrere Italiener. Die Franzosen spielten ihren Patron zwar auch an, wenn dieser bedrängt war, doch selbst der Ausnahmekönner Zidane konnte die italienische Übermacht nicht abschütteln. Mit ihren Kombinationen wurden die Franzosen erst in der 39. Minute gefährlich, als ein Abschlussversuch von Henry zu einer Vorlage für Dorkjaeff wurde, dessen Schuss Italiens Bank im Tor, Francesco Toldo, jedoch hielt. Ansonsten brachten die Franzosen nur einige Flanken zustande, kamen zu Freistössen aus günstiger Distanz, die ohne Wirkung blieben, und Henry versuchte, seine Schnelligkeit in Einzelvorstössen auszuspielen. Di Biagio und Cannavaro stoppten dabei den Arsenal-Stürmer zwei Mal mit Fouls, die zu Verwarnungen führten.
Italiener mit offensivem Beginn
Henry hätte Toldo schon in der 6. Minute fast mit einem Schüsschen an den nahen Aussenpfosten überrascht. Diese Szene fiel mitten in eine erste Druckphase der Italiener, die den Final überraschend offensiv in Angriff nahmen. Nach drei Minuten hatten sie bereits zwei Corners getreten. Frankreichs viel gerühmte Abwehr mit Thuram, Blanc, Desailly und Lizarazu schien in der Startphase nicht vor Nervosität gefeit. Andere wie Dugarry auf der linken oder Djorkaeff auf der rechten Aussenbahn konnten kaum Einfluss aufs Spiel nehmen und wurden vorzeitig ausgewechselt.
Italien besann sich nach der ersten Sturm-und-Drang-Phase vor allem auf seine defensiven Qualitäten. Nesta, Cannavaro und Iuliano spielten dabei ihre Stärken erneut aus, gut unterstützt von Maldini und Pessotto. Im Mittelfeld boten Albertini, Di Biago und Fiore ihren Gegenspielern durchaus Paroli. Das schnelle Umschalten auf Angriff zelebrierten die Italiener zudem auch schon vor dem 1:0.
Schliesslich auf hohem EM-Niveau
Blieben die ersten 45 Minuten noch unter den hoch gesteckten Erwartungen, steigerte sich der Gehalt der Begegnung nach dem Wechsel beträchtlich. Der Final wurde dem hohen Niveau des ganzen Turniers schliesslich gerecht. Es stellten sich auch spektakuläre Strafraumszenen ein. Nach einem Zuspiel von Henry konnte Zidane in extremis von Nesta am Einschuss gehindert werden, praktisch im Gegenzug fiel das 1:0. Delvecchio traf nach Flanke von Pessotto mittels Direktabnahme für Frankreichs Keeper Barthez unhaltbar. Desailly vermochte den Stürmer der AS Roma nicht am erfolgreichen Torschuss zu hindern. Der Verteidiger von Chelsea beging kurz vor Halbzeit auch einen Faux-Pas der völlig unnötigen Art. Im Zurücklaufen verpasste er Cannavaro einen Faustschlag ins Gesicht, ohne dass der schwedische Schiedsrichter Anders Frisk diese Tätlichkeit gesehen hätte.
Der für Fiore eingewechselte Del Piero vergab in der 59. Minute das 2:0, und Barthez konnte den Juve-Stürmer erneut stoppen (84.). Dazwischen spielten sich auch vor Toldo turbulente Szenen ab. Italiens Goalie rettete gegen den eingewechselten Wiltord, gegen Henry und Trezeguet, der für Djorkaeff gekommen war. Doch schliesslich in der 94. Minute fand Toldo doch noch seinen Bezwinger. Wiltord versetzte Cannavaro und der Schuss des Bordeaux- Stürmers landete im langen Eck. Das unmöglich Scheinende wurde doch noch Tatsache: Frankreich rettete sich in die Verlängerung.
Frankreich - Italien 2:1 (0:0) in der Verlängerung
De Kuip, Rotterdam. -- 49 000 Zuschauer (ausverkauft). -- SR
Frisk (Sd).
Tore: 55. Delvecchio 0:1. 94. Wiltord 1:1. 103.
Trézéguet 2:1 (Golden Goal).
Frankreich: Barthez; Thuram, Blanc, Desailly, Lizarazu (86.
Pires); Djorkaeff (76. Trézéguet), Vieira, Deschamps, Zidane,
Dugarry (58. Wiltord); Henry.
Italien: Toldo; Cannavaro, Nesta, Iuliano; Pessotto, Albertini,
Di Biagio (66. Ambrosini), Fiore (53. Del Piero), Maldini; Totti,
Delvecchio (86. Montella).
Bemerkungen: Frankreich ohne Petit (krank). Italien ohne Conte
(verletzt) und Zambrotta (gesperrt). 6. Schuss von Henry an den
Aussenpfosten. Totti nach Del Pieros Einwechslung im Mittelfeld.
Verwarnungen: 31. Di Biagio (Foul), 41. Cannavaro (Foul), 58.
Thuram (Foul), 92. Totti (Unsportlichkeit).
(ba/sda)