Der Delegierte der Nationalmannschaft dementiert politisch bedingte Differenzen energisch: «Ich stelle überhaupt keine Gräben innerhalb der Mannschaft fest.» Die von Stephan Lichtsteiner öffentlich und bewusst angeschobene Diskussion um «richtige und andere Schweizer» hält der Ostschweizer Jurist für unnötig.
Von einer abgeflauten Atmosphäre im weiteren Umfeld habe er nichts gespürt, sagt Stadelmann. «Natürlich hat sich nach dem WM-Hype alles etwas abgekühlt. Aber das liegt in der Natur der Sache und ist völlig normal.»
Er schätze die Schweiz grundsätzlich als Land der harten Arbeiter, aber es schimmere immer wieder durch, dass das Glas eben zu oft halb leer sei: «Man sieht oft zu erst einmal das Problem.» Dabei sei das Team nach halbem Qualifikationspensum auf dem richtigen Weg - «mit der absolut richtigen Trainerwahl».
In den Tagen vor dem Duell mit Estland wurde der Brennpunkt plötzlich neben das Terrain verlegt. Spieler, die gar nicht zum Aufgebot gehörten, äusserten sich negativ. Überraschte Sie das Störfeuer?
«Es kam immer mal wieder vor, dass ein Nebenthema von aussen herangespült worden ist. Wer genau wem was gesagt haben soll, können wir nicht mehr im Detail eruieren. Wir haben uns hingegen entschieden, dass wir uns nicht auf eine solche Diskussion einlassen wollen. Zum einen bringt sie uns keinen Schritt weiter, andererseits hatten wir den klaren Auftrag, gegen Estland drei Punkte zu gewinnen. Das ist uns am Freitag in einer erfreulichen Art und Weise gelungen.»
Die Nebenschauplätze waren zunächst weit entfernt, bis sie Stephan Lichtsteiner ins Zentrum der Mannschaft verlagerte. Mit seinen brisanten Aussagen zur Zusammensetzung des Nationalteams beschleunigte er die Debatte bewusst. Ist der Zeitpunkt nachvollziehbar?
«Zuerst will ich festhalten, dass die Aussagen mit moderatem Vor- und Abspann versehen waren und danach teilweise aus dem Zusammenhang gerissen und unreflektiert wiedergegeben wurden. Namentlich betonte der Spieler auch, wie stolz er auf die Multikultur der Schweiz sei und dass er die Selektion von Petkovic nicht kritisiere, sondern sich nur erhofft habe, dass Barnetta und Schwegler mit dabei sein würden. Lichtsteiner ist für unser Team ein starker Mann und eine ausgeprägte, teilweise impulsive Persönlichkeit, die wir so zu akzeptieren haben. Im Prinzip gilt natürlich die Meinungsfreiheit. Aber Stephan weiss, dass wir solche Themen zunächst einmal intern aufarbeiten möchten, falls das überhaupt nötig sein sollte.»
Sie hätten aber schon Mittel gehabt, ihn zu stoppen oder vor sich selber zu schützen, oder?
«Ich würde es mal so formulieren: Wir als Organisation befinden uns in einem ständigen Prozess zur Optimierung. Alle hätten ganz gut ohne seine öffentlichen Äusserungen leben können. Das Thema wäre einfacher zu bereinigen gewesen. Wir machen eben auch nicht 24 Stunden pro Tag alles goldrichtig. Nur sollten wir die Kirche dann irgendwann im Dorf stehen lassen und einen Punkt machen.»
Granit Xhaka erklärte unmittelbar nach dem Spiel, dass er im Zusammenhang mit der von Lichtsteiner mitverursachten Polemik ein deutliches Votum der Verbandsspitze erwarte. Teilen Sie seinen Ärger über die negativen Schwingungen?
«Natürlich ärgert mich die Situation. Die Stossrichtung missfällt mir ebenfalls. Die Aufregung hat mit unserem Kerngeschäft herzlich wenig zu tun. Unser primäres Ziel ist eine möglichst erfolgreiche Nationalmannschaft. Dazu benötigen wir die am besten passenden Spieler. Diesen Weg verfolgen wir weiterhin. Wir nehmen sicher keine Kategorisierung vor. Es wäre zweifelsfrei der grösste Fehler, das Ganze auf eine politische Ebene zu verlegen. Das gehört nicht zu unserem Programm.»
Spieler mit Migrationshintergrund prägen das Bild der Nationalmannschaft seit Jahren. Jetzt wird diese Konstellation plötzlich in einen politischen Kontext gerückt. Ist das erklärbar?
«Neu ist für mich nur die Akzentuierung. Und neu ist, dass der Trainer nun ebenfalls einen Migrationshintergrund besitzt. Das verändert die Positionen. Aber wissen Sie, wir leben in einer offenen Welt. Unseren eingeschlagenen Weg werden wir in Zukunft konsequent weiterverfolgen. Für uns stellt sich die Frage nach der kulturellen Herkunft gar nicht erst. Wo kämen wir denn hin? Sollen wir uns auch noch über die Kantonszugehörigkeit unterhalten?»
Die Behauptung, wonach das Team in zwei Lager mit unterschiedlichen Interessen gespalten sein soll, widerlegen Sie demnach?
«Es ist bei weitem nicht so, dass man von einer Gruppenbildung sprechen müsste. Ich sitze täglich mit allen Spielern im Speisesaal und nehme nichts wahr, was mich veranlassen würde einzugreifen - im zwischenmenschlichen Sektor gibt es null Probleme. Natürlich sprechen zwei Romands, die innerhalb von zwei Kilometern aufgewachsen sind, mehr miteinander als andere. Ich stelle überhaupt keine Gräben innerhalb der Mannschaft fest.»
Die Behauptung, wonach das Team in zwei Lager mit unterschiedlichen Interessen gespalten sein soll, widerlegen Sie demnach?
"Es ist bei weitem nicht so, dass man von einer Gruppenbildung sprechen müsste. Ich sitze täglich mit allen Spielern im Speisesaal und nehme nichts wahr, was mich veranlassen würde einzugreifen - im zwischenmenschlichen Sektor gibt es null Probleme. Natürlich sprechen zwei Romands, die innerhalb von zwei Kilometern aufgewachsen sind, mehr miteinander als andere. Ich stelle überhaupt keine Gräben innerhalb der Mannschaft fest."
Kurzum: Sie empfinden die angebliche Problematik in erster Linie als sonderbar?
«Vor dem Engagement von Vladimir Petkovic machten wir uns natürlich in verschiedener Hinsicht Überlegungen. Aber ich hätte eigentlich gedacht, wir seien in diesem Punkt fortschrittlicher - gerade in der sehr internationalisierten Sportwelt und speziell in der vergleichsweise aufgeschlossenen Schweiz. Aber es gefällt nun mal nicht jedem, wenn Immigranten erfolgreicher sind als Einheimische.»
Muss sich Petkovic für mehr rechtfertigen als sein prominenter Vorgänger Ottmar Hitzfeld? Muss er mehr leisten, um respektiert zu werden?
«Gut möglich, dass von ihm mehr verlangt wird. Aber seine Wahl war zu 100 Prozent richtig. Ich gehe sogar einen Schritt weiter und sage, dass es einer gewissen Logik entspricht, jetzt einen Coach mit einem Migrationshintergrund zu haben.»
Was verkörpert die aktuelle Nationalmannschaft für Sie persönlich?
«Für mich stellt die Nationalmannschaft ein Querschnitt unserer Bevölkerung dar. Es ist eine Gruppe von in ihrem Metier hoch erfolgreichen Menschen. Ein Auftritt wie gestern ist nur möglich, wenn alle die Idee begreifen und sich in das Gesamtprojekt einordnen. Die Nationalmannschaft wird von unbekümmerten und sehr erfolgreichen Jungen getragen. Die Lebensleistung jedes Einzelnen, der in seiner Vergangenheit aufgrund der Herkunft unter Umständen mehr Hindernisse zu überwinden hatte, ist doch beeindruckend und lobenswert.»
(bert/Si)